Hier kommt der Deep Dive zu Peter Thiel
Ein ausführliches Interview mit der New York Times, eine Podcast-Serie und ein FAZ Essay versuchen das Faszinosum Peter Thiel zu ergründen.
Peter Thiel ist der Schattenpräsident der Vereinigten Staaten. Er gründete Milliarden-Konzerne wie PayPal und Palantir, er investierte in Unternehmen (z.B. Facebook) ebenso wie in Personen (J.D. Vance, Trump) und er träumt davon, den Nationalstaat zu überwinden.
Auch viele Network State Projekte werden von ihm oder seinem Netzwerk finanziert. Thiel ist gläubig und davon überzeugt, dass die Ankunft des Antichristen kurz bevorsteht.
Das klingt alles verrückt, aber wenn man sich darauf einlässt, kann man immerhin Umrisse eines in sich schlüssigen Weltbilds erkennen.
Und noch etwas unterscheidet Thiel von Impuls-Cholerikern wie Trump und Musk: Er scheint sich bestens unter Kontrolle zu haben und verfolgt seine Pläne über lange Zeiträume konsequent. Besonders deutlich wird dies in seinem Rachefeldzug gegen den Gossip-Blog Gawker.
Diese und andere Geschichten werden in dem meisterhaft produzierten Podcast „Die Peter Thiel Story“ erzählt. Es war die erste Podcast-Serie, die ich an einem Tag durchhörte.
Es lohnt sich, ergänzend die ausführliche Kritik von Jürgen Kaube in der FAZ zu lesen, sowie die aktuelle Folge des Podcasts “Dystopia Now”: “Thiel is the Antichrist” Und auch ein Zeit-Podcast widmet sich wieder dem Thema: “Wenn Milliardäre philosophisch werden”.
Ebenfalls empfehlen möchte ich euch das aktuelle New York Times Interview mit ihm. Ihr findet das einstündige Gespräch hier als Podcast oder als Video.
Die Kombination aus Berichterstattung über ihn und das Interview mit ihm zeichnet das Bild eines brandgefährlichen Ideologen, der die Überwindung der Stagnation, den Kampf gegen den Antichristen und den Abscheu auf den Staat zu einem Weltbild verschmilzt, in dem notfalls auf dem Altar des technologischen Fortschritts die menschliche Spezies selbst geopfert werden muss.
📋 Zusammenfassung
1. Diagnose der Stagnation
Peter Thiel vertritt die These, dass der technologische und gesellschaftliche Fortschritt seit den 1970er Jahren weitgehend zum Stillstand gekommen sei. Besonders die Bereiche Energie, Infrastruktur, Medizin und Raumfahrt hätten an Innovationskraft verloren. Diese Entwicklung bezeichnet er als "zivilisatorische Stagnation". Nur im digitalen Raum (Internet, Kryptowährungen, KI) erkennt er nennenswerte Dynamik.
2. Wachstum als kulturelle Notwendigkeit
Thiel zufolge ist wirtschaftliches Wachstum mehr als ein Wohlstandsindikator – es ist die Grundlage gesellschaftlicher Stabilität. Die Erwartung, dass es den Kindern besser gehen wird als den Eltern, sei zentraler Bestandteil einer funktionierenden Mittelschicht. Wenn diese Erwartung fehle, drohten gesellschaftlicher Zerfall und politische Radikalisierung.
3. Der Antichrist als Metapher für globale Stagnation
Im NYT-Interview spricht Thiel von einer neuen Form des Antichristen: einem globalen, technokratischen Sicherheitsregime, das im Namen der "Existenzsicherung" (z. B. gegen KI-Risiken oder Klimakatastrophen) die Freiheit beschneidet und Innovation erstickt. Er warnt vor einer Weltordnung, die Stagnation politisch zementiert und dabei als "Friedensprojekt" verkauft.
4. Politischer Populismus als disruptives Mittel
Thiel sieht im Populismus – exemplarisch in Donald Trump – ein notwendiges Störelement: eine radikale Infragestellung bestehender Narrative. Die Wahl Trumps 2016 interpretierte Thiel als Chance, über Amerikas Niedergang überhaupt wieder sprechen zu dürfen. Heute blickt er skeptischer auf das politische System als Ganzes.
5. Transhumanismus und technologische Selbstermächtigung
Thiel kritisiert die heutige Tech-Elite als zu wenig ambitioniert. Visionen wie Unsterblichkeit, radikale Heilung von Krankheiten oder die Besiedlung des Mars seien in den 1990er Jahren präsenter gewesen als heute. Der Transhumanismus sei in seiner aktuellen Form zu "klein gedacht". Was früher radikale Selbstveränderung versprach, sei heute kosmetisch oder konformistisch.
6. Ambivalenz gegenüber KI
Künstliche Intelligenz sei das einzige Gebiet mit echtem Innovationspotenzial. Thiel schätzt die Bedeutung von KI ähnlich wie die des Internets in den 1990er Jahren ein. Gleichzeitig warnt er davor, dass KI – in konformistischer Ausprägung – selbst zur Verstärkung von Stagnation beitragen könnte. Er fürchtet eine Welt voller „okayer“ Ideen, generiert durch mittelmäßig kreative Systeme.
7. Technologische Risiken vs. politische Missbrauchsgefahr
Thiel erkennt in KI, Biotech und Atomtechnologie reale Gefahren. Doch er warnt davor, dass die politische Antwort auf diese Risiken – etwa globale Kontrolle, Regulierung oder technokratische Zentralisierung – größere Gefahren birgt als die Technologien selbst. Das Narrativ von Sicherheit diene potenziell autoritären Zielen.
8. Religiös geprägte Weltdeutung
Thiel denkt in religiösen Kategorien: Apokalypse, Erlösung, Antichrist. Dabei lehnt er einen deterministischen Gottesbegriff ab. Stattdessen betont er menschliche Freiheit und Verantwortung. Die Bibel – so seine Deutung – sei nicht für das Akzeptieren von Grenzen geschrieben, sondern für deren Überschreitung.
9. Der Intellektuelle als Marke: Thiel und das Spiel mit der Theorie
Die FAZ hebt hervor, dass Thiels intellektuelle Selbststilisierung ein zentrales Element seiner öffentlichen Wirkung ist. Seine Lektüren reichen von René Girard über Carl Schmitt und Leo Strauss bis hin zu Ayn Rand – auch wenn diese Theorien in sich teils widersprüchlich sind. Kritiker wie der Religionsphilosoph Wolfgang Palaver warnen davor, diese Kombination als kohärente Ideologie zu deuten. Vielmehr sei Thiels Theoriegebrauch eklektisch, strategisch – und oft mehr Verzierung als Substanz. Seine theoretische Radikalität sei damit eher kulturelles Kapital als politischer Masterplan.
10. Netzwerkstaaten als konsequente Entkopplung vom Nationalstaat
Thiel ist Mitgründer oder Investor mehrerer Network-State-naher Projekte wie dem Seasteading Institute oder Prospera. Sehr wahrscheinlich geht auch die Idee der “Freedom Cities” auf ihn zurück. Alle diese Initiativen verfolgen das Ziel, neue politische Einheiten abseits bestehender Nationalstaaten zu schaffen – ob auf dem Meer oder durch Sonderwirtschaftszonen. In Thiels Denken sind sie Ausdruck seines tiefen Misstrauens gegenüber staatlicher Regulierung und seiner Vision einer selbstermächtigten, technologiegetriebenen Zukunft. Sie verkörpern die Flucht aus der als stagnierend empfundenen Gegenwart in ein spekulatives Elsewhere.
Ich könnte noch viel dazu schreiben, abschließend nur ein letzter Punkt: Ich bin bei Thiel, wenn es um die Notwendigkeit von Wachstum geht. Es scheint ein tief sitzendes Bedürfnis zu sein, dass alles immer besser, größer, schöner wird.
Was ich aber nicht verstehe: Warum es bei “Wachstum” immer um wirtschaftliches und/oder technologisches Wachstum gehen muss. Soziale Innovationen machen unser Leben jeden Tag besser. Und würden wir Soziale Innovationen ebenso umfangreich finanzieren wie KI, würden wir längst im Paradies leben.
Ja, wir brauchen mehr Fortschritt. Nein, wir brauchen nicht zwingend mehr Technologie und Wirtschaftswachstum. Wir haben alles, was es braucht für ein gutes Leben. Wir stehen uns nur ständig selbst im Weg. Und Peter Thiel ist dabei einer der größten “Roadblocks”.
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